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DAS GOLDALPHABET


1997-2000, Lackfarbe, Tusche und Collage auf Papier, 27 Blätter a 590 x 420 mm
(Grafische Ausführung mit geplotteter Negativfolie und DIN-Schriftschablone)


Welch ein rosigblühendes Mädchen!
Das süsze Gesicht rundet sich aus dem tiefdunklen Hintergrunde
im glühendsten Goldtone heraus.

Julius Mosen, 1863 (über ein Bildnis von Rembrandts Tochter)


Vorwort: Vom subjektiven Gebrauch der Farbe Gold

Als ich um 1980 in Berlin das berühmte Ölgemälde "Der Mann mit dem Goldhelm" sah, war noch nicht bekannt, dass es sich nicht um ein Bild von Rembrandt handelte.
Von diesem Umstand gänzlich losgelöst, bleibt in meiner Anschauung jene faszinierende Qualität davon unberührt, mit der der Urheber des Gemäldes das im dunklen Bildhintergrund leuchtende Gold eines Renaissancehelmes gemalt, ja reliefartig modelliert hat; - die Art, wie er das Material aus der formalen, ornamentalen Beschaffenheit des Prunkhelms mit Hilfe hauptsächlich bräunlicher, gelber, schwarzer und weißer Ölfarbe augentäuschend vorführt, wie er es mit höchster Raffinesse geradezu "fälscht".
(Das fälschlicherweise Rembrandt Zugeschriebensein verdoppelt sich hier gewissermaßen in der überzeugenden malerischen "Falsifikation" von Gold...)
Was durch die vortäuschende Darstellung der visuellen Eigenschaften dieses Objektes Goldhelm, seiner Wirkung nach möglicherweise eine vergoldete Treibarbeit, besonders hervortritt, ist dessen aus den Extremen Schwarz und Weiß, also Dunkelheit und Helligkeit, zusammengesetztes Erscheinungsbild - bei gleichzeitiger nuancierter Farbhaltigkeit. Die Lichthaltigkeit dieser Sonderform der Materie, der Metalle im allgemeinen, die je nach Oberflächenbeschaffenheit bis zur Funktion als (indirekte) Lichtquelle führt (auch Spiegel müssen dazugerechnet werden), ist Mitgrund für ihre massive optische Präsenz in unserer heutigen zivilisatorischen Umgebung.

Vor diesem von dem der alten westlichen Maler gänzlich verschiedenen Hintergrund habe auch ich mich der Faszination des Metallischen nicht entzogen und in der verwandelten Tradition der Moderne über die Jahre immer wieder metallische Elemente eingesetzt: Verschiedene metallisierte Materialien als Objektabschnitte, architekturbezogene Malereien auf Metall in Verbindung mit Metallsockeln (>hemispheres<), metallische Bestandteile von Vitrinen (Installation >1 - 9, 0<) oder Farbwerte von Gelb, Grau und Rot, die entfernt an glanzloses Gold, Silber, dunkelgraue Metalle und Kupfer erinnern (in mehreren Tafelbildserien). Die markanteste Arbeit, die prototypisch mit den Farben Gold und Silber operiert, ist der Komplex >Square Terms<, eine an das Immaterielle angenäherte Form des Tafelbilds. Er besteht aus 20 "Weltformeln" (Logogrammen), die paritätisch in idealer und absolutistischer Symbolik je zur Hälfte den zwei "Farben" zugeordnet und vor schwarzem Hintergrund platziert sind (Siebdruck, rückseitig auf Acrylglas).
Die Rauminstallation SU.SY im Museum für angewandte Kunst in Wien wurde wesentlich bestimmt von der Hierarchie des Systems von Gold, Silber, Kupfer und Eisen in Form eines großdimensionierten Rasters aus "oberflächenverfälschten" (eloxierten) Aluminiumplatten. EIN Metall trägt die vier metallischen Hauptfarben: Das der Malerei abgeschaute Prinzip gefärbter Oberflächen ist ein wesentlicher Aspekt dieses jenseits der perzeptiven Erfahrungsmöglichkeiten vieldeutigen, mehrteiligen Raumkonzeptes. Durch eine Repetition der systemischen Reihung der vier durch die Zeiten wichtigsten Metalle bzw. ihrer farblichen Repräsentanten über den gesamten Wandablauf erfährt sie Verstärkung in ihrer symbolhaften Vieldeutigkeit: Bezüge zur Einteilung historischer Zeiträume, zu Dichtung und Mythos, zu erfundenen poetischen Zeitaltern, ihre Zuordnungen zu den Himmelsrichtungen und damit zur Kosmologie in antiken Weltbildern, zu den unterschiedlichen Reifezuständen der Metalle in alchimistischen Vorstellungen und zur Werteskala bei zeitgenössischen Prämierungen unterschiedlichster Arten können assoziiert werden. In der über einen langen Zeitraum entstandenen skulpturalen Arbeit E/O/S, die auf einer vielteiligen Sammlung unterschiedlichster kleiner industrieller Gegenstände und Materialien beruht, gibt es einen wesentlichen Anteil metallischer Objekte, darunter viele goldfarbene. Die Gegenstände, in sich modellhaft skulptural in dichter, minutiöser Verarbeitung und Kombination, besetzen den weiten malerischen Raum zwischen Schwarz, Weiß, Rot und Gelb (- die dem Metallischen nächste neutrale Farbskala) und dokumentieren eine riesige Palette an Formen und Oberflächen. Die echten und unechten metallischen sorgen darin für Glanz.
Unter den vielen Farben hat sich die - gefährliche, umstrittene - Farbe Gold in eine Sonderstellung gehoben und in meinem Kanon nachhaltig und beständig eingenistet.

Während der und nach den oben genannten Arbeiten reifte die Überlegung, der Ursache dieses Umstandes auf den Grund zu gehen und sie in einem breiteren Relationsfeld zu untersuchen, abzuhandeln, abzuarbeiten. Von Interesse war die Erforschung der Position des Goldes in der Jetztzeit des Denkens, in dem sich auch alles Überkommene spiegelt, wobei die deutsche Sprache trotz ihrer Eigengesetzlichkeit exemplarisch für eine lebende Sprache steht. Für die Fülle der Welten, an die das Gold rührt, steht allein das alphabetisch systematisierte Kondensat der Goldwörter in einer angestrebten Gesamtheit.
Weiteren und ergänzenden Aufschluss gab eine Untersuchung seines Status in der Welt der gedruckten Kommunikation, seine visuelle Darstellung mit modernen reproduktionstechnischen Verfahren im Bild- und Schriftdruck - einem Surrogat für die alten malerischen Techniken - und die Diversität der Nuancen, die sich hier ergeben. Dabei baute ich auf eine Sammel- und Archivierungsmethode auf, mit der ich seit langer Zeit Bücher und Mappen mit anschaulichem Bild- und Schriftmaterial aus gedruckten Medien fülle. In der Folge entstand ein grafisches Werk zwischen Kommentar, Theorie und künstlerischer Praxis, zwischen Text und Bild. Das alte Modell der illuminierten Handschrift verband sich mit dem Modell einer die Struktur des Enzyklopädischen repräsentierenden Buchseite.


"Endlich, oh Glück, gelang es mir, vom Himmel das Blau, das eigentlich Schwarz ist, abzusondern, und ich lebte als Goldfunke des kosmischen Lichts. In meiner Euphorie wählte ich eine möglichst wirre und närrische Ex-Pression."
Arthur Rimbaud

Es sei die Form ein Goldgefäsz,
in das man goldnen Inhalt gieszt.

Theodor Storm


DAS GOLDALPHABET, Exkurs

Die Buchstaben G, O, L, D.
Das Wort GOLD.


Das Wort GOLD steht für eine schwere Form von Materie.
Es ist aber auch selbst schwer von den mannigfaltigen Projektionen aller historischen Zeiträume.
Schätzungsweise 140 000 Tonnen wurden bisher weltweit (mit einem hohen Blutzoll) gefördert.
Dies scheint viel, ist aber wenig - also hat unter anderem die geringe Menge zu tun mit seinem Wert.
Trotz seiner reduzierten Bedeutung im Geldwesen ist das Material GOLD auch heute noch von mythischer, märchenhafter Präsenz.
Diesen Umstand verdankt es zu einem guten Teil seiner Farbigkeit, seinem gelben, metallischen Glanz, der in seiner Lichthaftigkeit als irdisch-materielles Äquivalent zur kosmischen Lichtquelle Sonne gesehen werden kann. Die Spuren der Jahrtausende alten Sichtweise und ästhetischen Empfindungsweise sind offensichtlich. Es ist die alte und die neue deutsche Sprache mit ihren zahlreichen Anglizismen, die hier zum Fundort und zur Schürfstätte eines wahren "Wortschatzes" wird.
Gefunden werden Wortkombinationen mit GOLD am Wortanfang und am Wortende, u.a. adjektivische Spezifizierungen von GOLD (z.B. gelbGOLD), weiters Wörter in Verbindung mit GOLDENER, GOLDENE, GOLDENES oder engl. GOLDEN, adjektivische Zusammensetzungen mit -GOLDEN, außerdem populäre oder wissenschaftliche, fremdsprachige Sonderwörter bzw. Sonderbegriffe. Dazu eine kleine Auswahl von Sprichwörtern, von Literaturzitaten in teils simplifizierter Form und Werbesprüchen.
Zwei- und Mehrdeutigkeiten sind bei den über 900 Nennungen (mit Anhang mehr als 1000) mitgezählt.
Die Vorgangsweise für die Erstellung der Seiten des vorliegenden Glossars wird wesentlich mitbestimmt durch den mit dem Finden der Wörter gekoppelten Vorgang des Findens und Exzerpierens von Schrift- und Bildmaterial in Printmedien. Dieses beiläufige "GOLD Finden" über einen begrenzten Zeitraum ergibt etwa 220, teils in sich mehrteilige Ausschnitte, die dem angesammelten Wortgut beigestellt werden. (Weiterhin gesammelte Ausschnitte füllen inzwischen einen dicken Ordner...)
Die Konzentration der diversen Sprachanwendungen des "GOLDprinzips" lässt ein bizarres Bild entstehen, das von einer losen alphabetischen Reihung - wie sie sich für eine Abfolge auf Einzelblättern anbietet - nur schwach gebändigt werden kann.
Die Wortmenge ist in sich differenziert nach Bedeutungen: Es sind Vergegenständlichungen des Materials GOLD, Begriffe aus den vielfältigen Tätigkeiten mit GOLD (aus Verarbeitung, Handel etc.), Anwendungen seiner Farbigkeit, seiner Lichtwertigkeit und farb- und wertmetaphorische Vorstellungen um das GOLD, die sich bildschriftlich/schriftbildlich zu einem poetischen System ordnen. Innerhalb der Seiten ist die Abfolge der Begriffe willkürlich. Sie ergibt sich - nur differenziert nach der Art der Wortkombinatorik - aus der Reihenfolge des Findens.

GOLD führt den krausen Ehrentitel eines "Königs der Edelmetalle". In der Alchimie war es der letzte und höchste Reifezustand aller Metalle. Es existiert in ungezählten Bildern der Poetik und Literatur, in Märchen, Sagen, Legenden und Mythen. Noch immer gilt es als Attribut des Göttlichen und Heiligen.
Es ist prädestiniert für eine "Materialunion" mit Spitzen von Hierarchien.
Es ist die Substanz des Superlativen, Ultimativen und Utopischen.
Es ist zum Synonym gemacht für Luxus, Reichtum und Glück, Kostbarkeit und Wert(beständigkeit), aber auch für Reinheit, Schönheit und Ewigkeit.
Seine Noblesse, Würde und Erlesenheit steht jedoch dem sehr heutigen Phänomen der Verkitschung in Glamourwelt, Bijouterie, Werbung, Design, Verpackung, Display und Mode gegenüber. Oft sind die Grenzen auch fließend. Unübersehbar sind die zahlreichen Imitationen und vorgetäuschten Goldeffekte, die es heute gibt und die sich mit der aufgeheizten Phantasie des weltweiten "GOLDrush" auf den Aktienmärkten der New Economy - besonders der späten 90er Jahre - in Verbindung setzen, der so jäh sein Ende finden und zu einer verstärkten Hinwendung zur Save Haven Veranlagung GOLD führen sollte. Auffällig ist darüber hinaus auch die schwer verständliche Diskrepanz zwischen dem massenhaften Einsatz von Goldeffekten und der geringen allgemeinen Wertschätzung der Farbe Gold (nach Umfragen).

Zurück zur Grundidee für "DAS GOLDALPHABET": GOLD markiert einen Endpunkt, es repräsentiert ein Extrem und es steht für das Absolute (Platin und Diamanten machen ihm diesen Rang nicht streitig...) und das ALPHABET als mögliches Kürzel für die westliche, griechisch-römisch geprägte Denkwelt ist ein Kernprinzip sprachlicher und kultureller Übereinkunft. Die Verschränkung dieser beiden Prinzipien ist ihre Basis.
Das um das GOLD Gedachte mündet in Sprache und Schrift und endet vorderhand am Buchstaben. Zusammen mit den "Goldenen Lettern" des lateinischen Alphabets, groß und klein als Initialen vorangestellt , dominiert das Wort GOLD, gebildet aus vier "vergoldeten" Großbuchstaben, die grafischen Konstellationen der in Zeilen und Listen disponierten "GOLDwörter", die in der Abfolge der Blätter seinen Kontext bilden.
Durch die vielfache Wiederholung wird es zudem in den Rang einer Beschwörungsformel gehoben....

Das vielteilige subjektive Bild, erstellt mit vorgegebenen typographischen Elementen und breit publiziertem Illustrationsmaterial, eingegossen in das Ordnungssystem der Reihenfolge der Buchstaben, erhebt den Anspruch, ein potentielles Gesamtbild vom GOLD zu sein, wie es sich heute darstellt.
Das singuläre Phänomen des GOLDES wird im Kontext seiner schweren Bedeutungsfülle analytisch aufbereitet.
Es bildet ein von überreicher metaphorischer Imaginations- und Assoziationsfähigkeit geprägtes geistiges Konstrukt und verkörpert ein Paradebeispiel für die Mechanismen visueller Wahrnehmung, wie sie sich mit den Mechanismen des zu seinen Endpunkten strebenden Denkens verknüpfen.


Enthält diese Sammlung, sowohl in Materie als Form, echtes poetisches Gold, so fassen es...
vermuthlich nur wenige Bogen.

Gottfried August Bürger

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