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Hannes Berger

Vermessungen des goldenen Glanzes


Georg Salner thematisiert in seinen - formal strengen Konzepten folgenden - ästhetischen Versuchsanordungen das Edelmetall Gold. Damit eröffnet er sich und uns ein facettenreiches Gestaltungs- und Spekulationsterrain. Letzteres lässt Salner in einer unbeabsichtigten Verwandtschaft zur Investmentbranche erscheinen, in der die Spekulation - sei es mit den Werten der ehemals "Neuen" Technologien, sei es mit dem alten Edelmetall - den konjunkturbedingt wechselnden Gewinn versprechen soll. Salners Gewinnerwartung zielt naturgemäß in eine der Investmentbranche diametral entgegen gesetzte Richtung. Er lotet in seiner Arbeit die Tiefen jener Faszination aus, die unabhängig von den Tageskursen der Goldminenaktien das Metall als Metapher für Heilsversprechungen und Utopien auf der einen Seite, Anmaßung und Raffgier auf der anderen Seite ambivalent schillern lässt. Darin liegt eine respektable Herausforderung. Denn er hat seine Arbeit in einem Terrain gleichsam zu verorten, das mit seinen historischen Grenzen in das „Goldene Zeitalter“ der frühen Kulturgeschichte verweist und das in der Gegenwart mit den Strategien konservativer bis riskanter Portefeuille-Mischungen zu tun hat. Irgendwo zwischen diesen willkürlich herausgegriffenen Antipoden liegt unter anderem das Feld der Trivialkultur, von dem ausgehend Salner seine Studien betreibt. Farbkombinationen aus dem Verpackungsdesign und der Produktwerbung löste Salner schon in früheren Projekten aus ihrem Verwertungszusammenhang und zeigte damit, wie Farbe in ihrer Qualität als Bedeutungsträger Zeichencharakter zugeschrieben wurde und wird. Worauf verweist zum Beispiel die Kombination von Schwarz, Rot und Gold? Auf politische Gegebenheiten, auf eine Süßspeise, deren Bewerbung Energie und Leistungsfähigkeit verspricht – oder auf sich selbst, da sie ja, aus dem Verwertungs- ist gleich Bedeutungszusammenhang gelöst, die Unschuld der Bedeutungslosigkeit wieder gewonnen hat, also Signifikant ohne Signifikat sein kann, dank Salners Kunstgriff? Hier ist er jedenfalls auf Gold gestoßen und auf das Paradoxon von Banalität und Überhöhung, wie es in der Allgegenwart des Goldes in den vielfältigen Anpreisungen der Marktschreierei in allen Medien deutlich wird. Trivialster Tand erfährt durch Attribute in Gold seine Aufwertung.
Das Bemerkenswerte dabei: Gold nutzt sich nicht ab. Jahrhunderte langer Gebrauch des Metalls bzw. seiner Erscheinung in ähnlich wirkender Färbung, Hekatomben von goldgefärbtem Kitsch konnten die Wirkung und den Mythos bislang nicht zerstören. Im Gegenteil. Vielleicht liegt im gleichsam inflationären Gebrauch der Goldmetapher der Ursprung ihrer ungebrochenen Konjunktur. Das widerspricht den Gesetzen des Marktes, wonach das Seltene an Wert gewinnt. Aber die Wirkmächtigkeit von Metaphern und Symbolen entfaltet sich mit ihrer ins Massenhafte gesteigerten Verbreitung. Und so begegnet uns die materielle Entsprechung für das Wertvolle, das Symbol für überirdischen Glanz und für Reichtum sogar noch in den entlegensten Winkeln billigen Ramsches. In den avancierten Bereichen der jüngeren Kunstgeschichte ist Gold hingegen ein rares Element. An zwei Beispiele sei hier erinnert:
Joseph Beuys hat 1982 eine Replik der russischen Zarenkrone eingeschmolzen und aus dem Gold die Figur eines Hasen gegossen. Steve McQueen zeigte 2002 auf der Dokumenta 11 in einem Video die vertikale Fahrt in die Tiefen einer südafrikanischen Goldmine.
Es ist hier nicht der Platz, um differenzierter auf diese beiden Ereignisse einzugehen, insbesondere auf die manifesten sozialen und politischen Bezüge der beiden Werke. Hinzuweisen ist hier allenfalls auf die in beiden Beispielen deutliche Stringenz in der Weiterführung einer mit dem Gold verbundenen Bildsprache. Bei Beuys wirft die mit dem Einschmelzen der Zarenkrone als Symbol weltlich-feudaler Macht verbundene Transformation des Metalls in die Gestalt eines Hasen Rätsel auf. Dieses Symboltier erscheint in der Symbolik der Alchemie am Ausgangspunkt jener komplexen Prozesse und Rituale, an deren Endpunkt der Lapis philosophorum, jener Stein der Weisen vermutet wurde, mit dessen Hilfe aus beliebigem Material Gold zu generieren sei. So zeigt die 1616 in Augsburg erschienene "Cabala" von S. Michelspacher auf einer Bildtafel zwei Hasen, die in eine Höhle springen und dem Alchemisten den richtigen Weg weisen. (Eine ältere Überlieferung, die in die Antike verweist, liegt mit dem "Physiologus" vor. Eine der Fabeln erzählt vom bergauf vor dem bösen Hunde fliehenden Hasen, was als Allegorie für die Anstrengungen erläutert wird, die Gipfel der Tugend anzustreben.)
Und der Leitspruch jener "Königlichen Kunst", als welche die Alchemie bezeichnet worden ist, lautete "Visita interiora terrae, rectificando invenies occultum lapidem" (Besuche das Innere der Erde, durch Läuterung wirst du den verborgenen Stein finden). Kunst habe, so eines der müßigen Legitimisierungsargumente, die Zeitläufte zu diagnostizieren und subtile Betrachtungen gewärtigter Zustände anzubieten. Spätestens mit dem konstruktivistischen Axiom, wonach die Welt im Kopf des Betrachters entsteht und Kunst als Teil dieser Welt genauso zur Kopfgeburt der Rezeption wird, sind wir auf uns selbst zurückverwiesen, wenn wir nach dem Telos künstlerischer Ambition fragen. Die Begegnung mit dem Artefakt wirft uns auf uns selbst zurück und diesem Wurf folgt der Fall in die ureigensten Abgründe. McQueens metaphorische Höllenfahrt, die in ihrer säkularen Entsprechung die sozialen Abgründe ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse erahnen lässt, ist das Ergebnis einer Projektion. Besuche das Innere der Binding-Brauerei, geläutert wirst du den Projektionsraum wieder verlassen. (Die Kasseler Dokumenta zählte 2002 zu ihren Ausstellungsorten die Hallen der Binding-Brauerei, wo u. a. die Video-Arbeit McQueens gezeigt wurde.)
Die vergangene Dekade konfrontiert wirtschaftshistorisch Interessierte mit einem Phänomen, das mit der "Tulpenzwiebelhausse" der Rembrandt-Zeit verglichen worden ist. (Der Vergleich hat Schwächen, auch darauf ist schon hingewiesen worden: die "Neuen Technologien" haben eine gesellschaftliche Dynamik entfaltet, wie sie in vergleichbar kurzen Zeiträumen in der Wirtschaftsgeschichte selten zu verzeichnen war.) Denn die Schwindel erregenden Preise, die Rembrandts Zeitgenossen für die Spekulationsobjekte zu zahlen bereit waren, diese jede ökonomische Zweckrationalität verhöhnende Investitionsfreude lebte mit der Hausse der "New Economy" der Neunzigerjahre im zwanzigsten Jahrhundert wieder auf. Aktien von Internet-Firmen waren zu Preisen gehandelt worden, die schon längst in keinem rational nachvollziehbaren Verhältnis zu den Unternehmensgewinnen, ja nicht einmal mehr zu den optimistischsten Gewinnerwartungen gestanden sind. Die neue Branche erschien als Reichtum versprechendes Märchenland, der Vergleich mit dem Goldrausch des neunzehnten Jahrhunderts hatte seinen warnenden Charakter verloren. Die Helden der Investmenthäuser waren jene Fondsmanager, die ihre Strategien darauf ausgerichtet hatten, dass Telekommunikationsanbieter und virtuelle Firmen, deren wirtschaftliche Grundlage "Information" darstellte, die Gesetze der Betriebswirtschaft hinter sich lassen. Die "Old Economy" der Goldminen und Grundstoffindustrie, der Handelshäuser und Nahrungsmittelproduzenten erschien zweifach anachronistisch: sie musste sich mit den begrenzten Ressourcen materieller Güter abgeben - im Unterschied zur beliebig vermehrbaren Information - und sie musste die Dynamik ihrer Märkte innerhalb der Grenzen wirtschaftlicher Logik entfalten - im Unterschied zum potenziell unbegrenzten Wachstum der Informationsbranche.
Dem Boom in diesem neuen Wirtschaftssegment folgte ein Boom im Kunstmarkt. Denn die neuen Reichtümer belebten auch das Geschäft der Galerien und förderten eine junge Künstlergeneration, der die neuen Technologien vertraut war und ist. Während auf den Kunstmessen die Monitore flimmerten und die Olympiaden der Kunstwelt ihre zwei- oder fünfjährigen Gezeiten diskursiver Kuratorenanstrengung anvertrauten, begannen in den Managementetagen die Bilanzfälscher ihr Handwerk. Die Ergebnisse mussten ja den Erwartungen der Investoren gerecht werden, die Geldströme aus den Investmentfonds durften nicht in andere Branchen umgeleitet werden. Hinter den Kulissen ließen die Analysten keinen Zweifel offen: viele der empfohlenen Unternehmensaktien waren überteuert. Nach außen jedoch blieben die Kaufempfehlungen aufrecht. Die Skandalchronik listet die Namen der renommiertesten Häuser, von Enron bis WorldCom, von City Bank bis Merrill Lynch auf. Nachdem die Öffentlichkeit mit den Lügenkonstrukten der Branche konfrontiert worden war, ist das Vertrauen in die Börsen zusammengebrochen. Die Terrorattacke auf das World-Trade-Center hat den Niedergang der Investmentmärkte zwischenzeitlich beschleunigt und in der Gegenreaktion kurzfristig korrigiert. Aufzuhalten war er nicht.
Im Match New Economy gegen Old Economy ist ein Spielstand zugunsten der Traditionsbranchen zu verzeichnen. Zu den Profiteuren zählen nicht zuletzt die Edelmetallwerte. In unsicheren Zeiten, so sagt eine der wieder zu Ehren gekommenen Regeln, greifen die Anleger zu so handfesten Gütern wie Gold.
So trifft das Interesse Georg Salners für das alte Faszinosum einen sehr aktuellen Punkt in der Topographie gegenwärtiger Befindlichkeiten. Während im Zeitraum der Niederschrift dieser Zeilen ein neuer militärischer Konflikt die Region um Euphrat und Tigris bedroht, erstellen die Strategen der Ölkonzerne Szenarien zur Ölpreisentwicklung je nach Dauer und Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzung. Die Krisenangst der Investoren wirkt auch auf den Preis für die Goldunze ein, allerdings weit weniger dramatisch als auf den Ölpreis.

Seine Recherchen führen Georg Salner nicht zuletzt dorthin, wo der Glanz des Goldes am Computermonitor erscheint. Das Geschäft mit Edelmetallen hat sich - wenn auch lange nach den Internetpionieren der Pornobranche - das neue Medium erschlossen. Hier schimmert das Gold nun auf unzähligen Web-pages: die kunstvolle Mischung roten, grünen und blauen Lichts bringt auf dem Bildschirm einen Goldglanz hervor, wie er in herkömmlichen Druckerzeugnissen nur mit großem Aufwand zu erreichen ist. Der goldglänzende Schein im WorldWideWeb korrespondiert unter anderem mit dem hier angebotenen Gold der Warentermingeschäfte, die genauso über das Internet abgewickelt werden wie die Optionsgeschäfte auf Öl, Kaffe und Schweinebäuche. Geschäft ist Geschäft, aber mit Gold könne die Webdesigner schönere Auftritte inszenieren. Diese Liaison von Old Economy und neuen Medien mag für die jüngste Wirtschaftsgeschichte eine Marginalie sein, für das Projekt Salners liegt hier ein wesentlicher Zugang. Denn während die neuen Technologien bis Anfang 2000 eine Hype erlebten, der den Goldpreis mit seiner vergleichsweise bescheidenen Volatilität im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen ließ, hat sich ein bemerkenswerter Antagonismus herausgebildet: auf der einen Seite das atavistisch anmutende Metall, das seine mythischen Bedeutungsfunktionen in der Vergangenheit entfaltet; auf der anderen Seite jene in die Zukunft weisenden Technologien, die statt träger Materie schwerelose Information und elegante Technik anzubieten haben. Auf den Homepages der Edelmetallbranche prallen Welten aufeinender.
Georg Salners Interesse richtet sich auf die Tiefen unter der glänzenden Oberfläche. Wenn er am Goldglanz arbeitet, tangiert er jene Heilsversprechungen, denen tumbe Gemüter zu verfallen pflegen. Wer die Metaphern der Alchemie für bare Münze hält, eignet sich als Opfer für Scharlatane. Und wem die Simulakren der New Economy als Eldorado künftiger Wertschöpfung erschienen ist, wird heute über verlorenes Geld klagen. Täuschung und Enttäuschung begleitet die Geschichte des Goldes und die jüngeren Episoden der Wallstreet. Auch und gerade diesem Element der Camouflage widmet Salner seine Aufmerksamkeit, sich nicht zuletzt als "User" jener Technologien bedienend, die auch die Medienindustrie benutzt, wenn sie mithilfe professioneller Grafiksoftware Goldeffekte generiert, um beliebige Produkte mit der Aura beständigen Wertes zu umhüllen. In diesem Spiel der Transformationen von Rarem ins Banale und vom Trivialen in Produkte für die Weihestätten des "White Cube" im Kunstbetrieb, in diesem Spiel erweist sich Georg Salner als aufgeklärter Meister jener Alchemie, deren Ziel die Transformation von Bewusstlosigkeit in Aufmerksamkeit ist.



Literatur:
Salner, Georg; Square Terms. Die Eins- und Nullform eines schwarzen Quadrats. Wien, 1997

Gebelein, Helmut; Alchemie. München, 1991

Treu, Ursula (Hg.); Physiologus. Naturkunde in frühchristlicher Deutung. Berlin, 1981

Schwemmle, Michael (Input Consulting GmbH); Was spielt sich ab? Charakteristika der IT-Ökonomie. Statement beim schwedisch-deutschen "High-Tech-Seminar" zur Informationstechnologie. Stockholm, 19 April 2000
www.input-consulting.com/download/it-oekonomie.rtf



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