back
1994 - 1997, 20 Bildtafeln a 65 x 65 x 1 cm (schwarz) mit 20 Logogrammen
(zehn in Silber, zehn in Gold, a 55 x 55 cm), Siebdruck hinter Acrylglas
D i e E i n s - u n d N u l l f o r m e i n e s s c h w a r z e n Q u a d r a t s
EINS/NULL, MITTE/GRENZE, SPRECHEN/SCHWEIGEN
Ein Prolog
Es ist nicht Nichts.
Es ist Alles und Nichts.
Dass Etwas ist, ist im Sinne Wittgensteins mystisch, (nicht wie es ist).
Alles - das ist das Ganze, Eine, die Eins (Fülle, Materie).
Nichts - das ist das Ganze, Nichtige, die Null (Leere, Vakuum).
Das absolute Nichts ist das doppelt Undenkbare aus dem Undenkbaren des Alles und dem Undenkbaren des Nichts.
(Nullum + Totum = Absolutum)
Es ist das Undefinierte aus Mitte und Grenze.
Es ist schwarz und weiß, Abwesenheit und Anwesenheit (von Licht).
(Denken erfolgt in den Kategorien von Zeit und Raum,)
Bewusstsein ist Hier und Jetzt. Bewusstsein ist Helligkeit im Dunkeln, Konzentration (auch nichtgedankliche) ein heller Lichtpunkt.
Im Seienden sein heißt Schweigen.
Denkendes Sein erwirkt das Sprechen.
(Im Denken konstituiert sich Grammatik, Logik und Mathematik.)
Sprechen ist auditive Konkretisierung des Denkens.
Sprachliche Zeichen erwirken die Sichtbarkeit von Sprache.
Schrift ist visuelle Abstraktion von Sprache.
(Abstraktion ist immer vieldeutig. Ein Zeichen braucht kontextuelle Zeichen zur Eingrenzung seiner Vieldeutigkeit.)
Die vieldeutigsten Zeichen sind 0 und 1, denn sie enthalten alles.
Zusammen erzielen sie die Einheitlichkeit der dualen, paradoxalen
Welt.
Die Welt des heutigen Menschen ist eine überbordende, zerfallende Welt mit der Gegenläufigkeit des Zusammenwachsens, der Verkleinerung. Diese Welt als Ganzes zu sehen ist schwieriger denn je.
Die moderne Physik ist die Wissenschaft, in der Ursprung und Ziel, die Ganzheit der Teile, Einheit
(-lichkeit), (Vereinheitlichung) zentrale Begriffe bilden. Sie bietet in alter Tradition hervorragende Modelle der Konstruktion von Wirklichkeit auf der Basis der Realität des Seienden.
Es gilt - mit Stephen Hawking gesprochen: Wir sehen die Welt (das Universum) so, wie sie (es) ist, weil wir nicht da wären, um sie (es) zu beobachten, wenn sie (es) anders wäre.
Unbeantwortet bleibt die Frage: Ist Geist und mit ihm Bewusstsein eine Selbstkonstruktion, ein Produkt (nur?) des menschlichen Gehirns (also nichtig), oder ist er möglicherweise die Realität selbst (also das Nichts)?
Sehen ist nicht Sehen - heute weniger denn je. Bild ist nicht Bild.
Eine verstärkte Ausprägung des virtuellen und künstlichen Charakters menschlicher Existenz, eine fortschreitende Entortung und Entzeitlichung, die Gleichzeitigkeit ältester und neuester Kultur und die potentielle Omnipräsenz des Wissens, der Ideen und der Information sind Kennzeichen der Weltgegenwart.
Die operative und instrumentale Ausweitung der Wahrnehmung reicht an das Endlose, Unermessliche. Umso ausgesetzter ist der heutige Mensch in der Weite zwischen Mitte und Grenze (zeitlich und räumlich), die in ihm unbestimmt und ununterschieden sind.
Die Bildkunst ist eine alte Tradition. Sie wird von der Welt gebildet und sie bildet die Welt immer wieder neu.
El Lissitzky bemerkt im Jahr 1921: "(...). Wenn behauptet wurde, dass die Jahrhunderte ihre Malerei bis zum Quadrat (das schwarze Quadrat von Malewitsch, d.A.) geführt haben, so sagen wir: wenn die Platte des Quadrats den engen Kanal der malerischen Kultur verschlossen hat, so dient ihre Rückseite als mächtiges Fundament für das räumliche Wachstum der realen Welt. (...)"
In vielfacher Weise wurden seither innere und äußere Räume gefüllt mit (bildnerischen, malerischen...) Entdeckungen, Erkundungen und Annäherungen an die reale Welt. Die Hinneigung zum Absoluten, zur Totalität (in der Symmetrie), der Hang zu Einheit und zur Leere (zum Nichtbild) auf der Basis vielfältiger Ideen von Materie und (oder) Licht (Materialität und Immaterialität), Text, Konzept und neuer Medien (einschließlich der Photographie), sowie auch ihrer Kombinationen sind wesentliche Kennzeichen der jüngeren Geschichte der Bildkunst. Unismus und ZERO sind die in diesem Kontext markantesten Namen.
Nicht nur im wörtlichen Sinn ist der Satz El Lissitzkys (aus "Bildlicht" von Weibel und Drechsler) programmatisch für die "SQUARE TERMS".
Sie sind ein fragmentarisches und dennoch ganzheitliches Konstrukt aus Text und Subtext, anders gesagt: aus 20 Logogrammen mit 20 Kommentaren.
Die Zahl 20 repräsentiert eine starke relative Einheit in der Vielheit der Totalität.
Die Logogramme stehen für Bildlosigkeit (Nichtvisualisierbarkeit), für die neuen Orte der Ortlosigkeit und Virtualität, für das Nichtdenkbare.
Ihr Wesen ist bestimmt durch Formel und Term (lat., Grenze).
Projektionsfläche ist die Form des Quadrats, das die gegensätzlichen Prinzipien von Null und Eins in sich versöhnt.
Das Quadrat ist potentiell absolut.
Die "SQUARE TERMS" sind "terms - square to the square" (mit dem Quadrat übereinstimmend, stimmig). Sie enthalten Weltbetrachtungen in Referenz zu alten und neuen Weltbildern: transformiert, essentialisiert, konzentriert, subjektiviert.
Das Fragmentarische der angedeuteten Bezugsfelder enthält den Verweis auf ein utopisches Ganzes (pars pro toto).
Die Fragmente funktionieren in sich als relative Einheiten.
Die Eignung bestimmter Begriffe zur Bildung von Anagrammen ermöglicht diverse Formen der Repräsentanz physiologischer, psychologischer, soziologischer, philosophischer, (geo)politischer, geographischer, mathematischer, physikalischer, kosmologischer u. a. Momente.
Die verwendeten Begriffe sind die separierten Vehikel, die auf die Ebene der Phänomene führen, wo eine Zusammenschau des Getrennten erfolgen kann.
Eins (1) allein steht für die materielle Welt, Null (0) allein für die immaterielle Gegenwelt, - bei "simultaner Betrachtung" stehen sie jeweils zusammen für die beiden verschiedenen Welten.
In einer Welt mit digitaler Spiegel- oder Gegenwelt ist die (splitterhafte und vereinfachte) Darstellung von Fragen nach Zusammenhängen, Hintergründen und Herkunft der Kategorien Null und Eins ein relevantes Unterfangen. Sie geschieht in einer willkürlichen Aneinanderreihung von Bildideen, die dem Vorgang des schnellen Programmwechselns im Kabelfernsehen, dem wahllosen Blättern in Zeitungen oder anderen sprunghaften Alltagshandlungen entspricht. Das strikte System provoziert eine Affirmation des freien Umgangs mit den Ideen.
Wir bewegen uns auf der Ebene des (quadratischen) Tafelbildes mit seinen autonomen Gesetzen. Eine Semantik dieses Begriffes ist dabei von Bedeutung, die alte Bezeichnung "Schilderkunst" ist im Kalkül. Die Bildtafeln entsprechen einer Art Umkehrung des Prinzips "Tafelbild", denn es fehlt der Bildkörper: Die Farbinformation befindet sich auf der Hinterseite von transparenten, materiell nicht präsenten Tafeln.
In Anlehnung an einen weltweit verbreiteten Schriftschildtypus sind die Tafeln in den Farben Gold und Silber auf Schwarz (space-black) gestaltet, paritätisch zehn zu zehn. Dieses vieldeutige ästhetische Programm findet sich transponiert auf die allgemeine Ebene des alten (Symbol)Bildes von dualer Einheit:
Gold und Silber sind den beiden kosmischen Lichtquellen zugeordnet, direkte und indirekte Wirkweise desselben Lichts - Licht und verschattetes Licht vor dem abstrahierten Hintergrund kosmischer Schwärze (...vor dem Weiß der Wand, des Papiers...).
Das Quadrat bildet eine von der Mitte zur Begrenzung konzentrisch/symmetrische Fläche. Darin ist der Kreis mitformuliert. Er ist in vielfacher Weise geeignet, diese Fläche entscheidend zu relativieren, ebenso wie das orthogonale und das diagonale Kreuz.
In diese Grundkonstellation ist die Imagination eingelagert.
Der gleich bleibende Parameter des schwarzen Quadrats ist abgestimmt auf die gleich bleibende Dimension des bespielten Binnenfeldes.
Das Moment der repetitiven Abfolge wird gegen gewichtet durch die Permutation der Binnenfelder und damit des jeweils gleich großen Randes. Die Basis hiefür sind die zentralen kulturimmanenten Abstraktionen, die einander bedingen und ergänzen: Ziffer und Letter (in Verbindung mit linearen Diagrammen) und den dazugehörenden Systemen Alphabet und Ziffernreihe. Ihre komplexe historische Bedeutung ist inhaltlich wesentlich.
Die Typographien sind durch ausgewogene Geometrie gekennzeichnet.
Sie sind charakteristisch für das 20. Jahrhundert und betonen die Jetztzeitlichkeit des Programms in einem größeren zeitlichen Maßstab. Sie wirken heute "zeitlos" und sind dadurch von hoher Akzeptanz und beinahe "unsichtbarer" Präsenz.
Sie sind als Ready-mades eins zu eins einem Schriftprogramm entnommen.
Die Produktion dieses Bild-Schrift-Komplexes selbst stellt eine Überbrückung zur digitalen (immateriellen) Gegenwelt dar. Sie bietet eine dem analogen Gestalten (als auch hier notwendiger Voraussetzung) gegensätzliche Gestaltungsstruktur, bildet einen Filter und ist untrennbar vom Prozess aller (delegierten) Realisierungsschritte. Die Art der Bildgenerierung entspricht somit dem gesamtthematischen Kern.
Diese Kongruenz von Bildgestalt, Bildmaterial und Bildgenerierung mit den Bildinhalten führt in spezifischer Weise zum Phänomen des Nichtbildes.
Wir sehen eine Metapher für die Kongruenz und gegenseitige Beeinflussung von Kognition und Welt, (auch von Geist und kosmischer Realität?).
In der Unauflöslichkeit des Möbiusbandes (des ouroboros) sind Alles und Nichts gleichzeitig.
Die SQUARE TERMS sind und sind nicht.
"Die Welt bin ich, und das ist meine Sache."
Konrad Bayer
(In der Publikation sind den Tafeln jeweils Subtexte aus Bemerkungen, Befragungen, Spekulationen gegenübergestellt)