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GEORG SALNER
geoXplicit
November 2008 bis dato
144 Aquarelle/Gouachen auf Baumwollbütten, 36 x 51cm (Rahmen 44,5 x 59, 5 cm)
Lange schon nütze ich Geometrie (und Mathematik in einfachen Anwendungen) bzw. geometrisch vordefinierte, z. B. typografische Gestaltungen, um der Beliebigkeit im Formfindungsprozess zu entkommen. Die Variations- und Diversifizierungsprinzipien in den unterschiedlichen, seit 1990 nach und nach entstandenen Serien sind also von der übersichtlichen Ordnung der wesentlichen Quadratteilungen und von „Rechteckakzeptanz“ geprägt, mit einer jeweils maximalen Ausdeutung wechselnd definierter Regeln.
Im aktuellen Prozess aber, aus einer inneren Notwendigkeit in Gang gesetzt und wie immer in Neuerungsphasen auf Papier abgehandelt, erscheint die Geometrie aufgeweicht, gedehnt und in ihrem Potential unbeschränkt – ergänzt durch motivische und inhaltliche Ausweitung.
Vieles im persönlichen, medialen und öffentlichen Umfeld erweckt Aufmerksamkeit, Impuls und Impetus. Die allgemeine Grunderfahrung der zersplitterten Welt – verwirrend, unendlich vielfältig und voller Spannung, macht unser aller Lebenswirklichkeit aus. Sie wird hier von Blatt zu Blatt, jedes in sich mit unerwartetem, abenteuerlich gesteuertem Ergebnis, in wechselhaften Abläufen aufbereitet. Die innerserielle Diversifikation ist auf einen hohen Grad der Individualisierung der Blätter gebaut. Jedes Blatt erzielt eine neue Identität, im Gesamten eine tendenziell „multiple Identität“ als übergeordnetes Stilmerkmal.
Wie schon im letzten Komplex ‚typo.log 36 EXP’ vorbereitet, ist die Geometrie nun weiter forcierte Basis unterschiedlichster Formsprachen. Sie hat auch konstant wesentlichen Anteil an Formen von (Sprache als) Schrift. Schriftelemente als Bedeutungsträger, z. B. mit Agitprop-Inhalten zu globalen Thematiken oder Buchstaben und Zahlen als Essentials, befinden sich immer wieder in bildkonstituierender Funktion, oft im Übergang zu vieldeutigen Formfindungen, die zum Bild/Icon mutieren.
Der Ablauf ist durchsetzt mit expliziten Motiven, die zum Teil auf orgiastisches Geschehen hindeuten. Diese Darstellungen sind einerseits Ausdruck des Wunsches nach provokativer Verlebendigung des seriellen Ablaufs durch Tabubruch, andererseits replizieren sie auf die riesige Menge expliziten Materials im Netz, mit der Besonderheit des Transsexuellen. Auch hier ist das Transitive, Uneindeutige einer Übergangs- oder Mischform bzw. eine Verbindung von essentiellen Gegensätzen mitgemeint, die die Welt und das Werk konstituieren.
Medien- und Kommunikationsdesign, Design, Architektur (Kiesler, Eames, Schindler), sich in Medien, vor allem im Web spiegelnde unterschiedlichste Ausdrucksformen von Künstlichkeit, beträchtlicher Teil unseres Lebens, ist das allgemeine Unterfutter, übergeführt in persönliche Gestaltungen, ständig im Feld potentieller, unvermeidlicher Wiedererfindung (reinvention) agierend, voller subjektiv empfundener Überraschungsmomente und Zufälle. Die organisch/dynamischen Grundformen des Designs verschiedener Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts z.B. sind schon längst aufgegangen in den ungeheuren Möglichkeiten des computer aided design und sind heute wesentlicher Teil des Alltags-Designs geworden. Auch dieses Moment spielt in diese Sammlung von Möglichkeitsformen hinein.
Jedes Blatt hat sein eigenes Gesetz: Inspiriert von einer großartigen Gestaltung oder buchstäblich von einem „Nichts“ wird sie/es zu einem serienspezifischen „Etwas“ gemacht.
Folgende Gegensätze mache ich mir zu Nutze, um Spannungsmomente zu gerieren: Den zwischen analog (der gewählten Arbeitsweise) und digital (sämtliche medialen Bilderzeugnisse sind heute digital erzeugt), zwischen geometrisch und organisch, zwischen Serialität und Eigengesetzlichkeit, zwischen der Einförmigkeit der querrechteckigen Papierform und der daraus provozierten Diversität der Binnenform, zwischen zweckgebundener Gestaltung (Typographie, Gegenstand, Architektur) und der freien Form, zwischen Beobachtung/Recherche/Analyse/ Sammlung und relevanter Gestaltung mit persönlichem Ausdruck, zwischen flüssiger Farbsubstanz und festgefügter Begrenzung/Fügung.
Das explizit Geometrische in Verbindung und in einem scheinbaren Widerspruch zu den möglicherweise herausstechendsten Motiven aus dem „expliziten“ Bilderangebot lässt den Titel >geoXplicit< naheliegend erscheinen.