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SU.SY


A) Der Längsraum als perspektivische Schleuse

Die Relation 1:5 von visuell relevanter Höhe zur Länge des gegebenen Raumes (bei einer ungefähren Relation von 1:4 von Breite zu Länge) erzeugt eine starke perspektivische Wirkung. Im Sog, der durch zwei Türen je am vorderen und hinteren Ende des Längsraumes bewirkt wird, die den Raum definitiv zum Gang machen, bewegen sich Personen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in den beiden Hauptrichtungen. Die vordere Tür erlaubt ungehinderten Eintritt, die hintere ist - als Barriere für Blick und Bewegung - in Form des negativ gedoppelten, vergrößerten Türstocks in den Raum hineingesetzt. Fünf Fenster an der einen Seite werfen Licht auf das klare Längsrechteck der gegenüberliegenden Wand. Diese Wandfläche, bestehend aus fünf addierten Quadraten, ist der bestimmende Faktor und wesentlicher Teil des Raumes, gleichzeitig relevantes Fragment der Gesamtheit der Wandfläche des (Museums-) Gebäudes und ein Abschnitt einer nicht zu dimensionierenden, unermesslichen (gekrümmten!) räumlichen Ebene. Das Maß der Längswand ist der erste verbindliche Parameter.



B) Die Bildwand METALLON

Das griechische Wort "metallon" bedeutet Bergwerk, Erzgrube

Das Modul, das die Idee eines kleinen, handlichen Tafelbildes in sich trägt, ist die zur Totalität der Wand kontradiktorische Einheit. Das Maß des Moduls ist 10 x 21 x 1 cm. Die Dimensionierung entspricht in Höhe und Breite dem gedrittelten A4-Format, ist also ein verbreitetes Normformat. Dieses vorgefundene Maß in Verbindung mit der Tiefe ist in sich artifiziell, metrisch und gebrochen symmetrisch: Erst durch die Addition von Höhe und Tiefe ergibt sich 11, und von Breite und Tiefe 22 cm. Durch diese einfache mathematische Operation entsteht ein Zahlenraum, in dem Halbierung, Verdoppelung und Vervielfachung Grundgesetze sind: Durch Halbierung der Summe der drei Maße des Moduls ergibt sich die vertikale und horizontale Distanz zwischen den Modulen.
Deren Anordnung in einer regulären, dem Gravitationsprinzip verpflichteten Matrix bewirkt eine Vervielfältigung der räumlichen Begrenzungen der Wand. Obwohl das einzelne Modul räumlich aus der Wand hervortritt, öffnet es sie in der Art einer Perforation. Sie wird durchlässig. Das Hinein und das Heraus erscheinen ambivalent. Durch das in dieser Weise funktionale Ornament wird die Wand der banalen Bestimmung zur architektonischen Raumbildung enthoben. Sie wird in einen neuen Raum geöffnet und einer übergeordneten Wirklichkeit aufgeschlossen: Der des grenzenlosen Oben und Unten, Links und Rechts, Vorne und Hinten.
Die Bildwand wirkt in ihrer "parametralen Beschaffenheit" somit doppelt bei der Entgrenzung des Raumes: Einmal durch die Forcierung der räumlichen Perspektive, zum anderen durch ihre entgrenzte Zweidimensionalität. Beide Momente erscheinen verknüpft mit der Idee eines hypothetischen multidimensionalen Raumes jenseits der Raumzeit.
Ein Versuchsfeld der Totalität wird ausgelotet: Die reguläre Repetition der Module und der einheitlich quadratisch genormten Zwischenräume ist eine mathematische (wenn auch intuitiv erstellte) Form, die durch die visuelle Wirkung perspektivisch und ausschnitthaft relativiert wird. Die Totalität der Wanderfassung wird auch eingeschränkt durch das Hinausrückung der Gestaltung in die angrenzende Querwand. Weiters wird die innerhalb der systemischen Komposition angelegte Symmetrie durch die Abfolge divergenter vertikaler Farbstreifen gebrochen.

Metall als Träger exemplarischer metallischer Farben (Gelb, Grau, Rot und Schwarz) ist ein Modell der Übereinstimmung. EIN Metall (Aluminium) ist Ausgangspunkt für die aus der begrenzten Vielfalt natürlicher metallischer Farben systematisierte VIERZAHL. Daraus ergibt sich ein Werk aus Metall über Metall - unter Verwendung der industriellen Färbetechnik des Eloxierens. Dies stellt eine marginalisierte Form von Malerei dar - eine Oberflächen(ver)fälschung im Dienst einer zu erzeugenden neuen Wahrheit. Metalle - vertreten durch Gold, Silber, Kupfer und Eisen - sind harte Farbmaterie und gleichzeitig lichtaktiv bis zur Wirkung als (indirekte) Lichtquelle. Der in diesem Material überwundene, scheinbare Gegensatz zwischen Materie und Licht trägt wesentlich zu dessen in die älteste Geschichte zurückführenden Faszination bei. Es gibt zahllose poetische und metaphorische Assoziationen zur Ästhetik und Anwendungen der Ästhetik des Metallischen. Jenseits der einzelnen Metalle, ihrer vergangenen und heutigen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung, ihrer Anwendung in Malerei und Kunsthandwerk, ihrer echten, imitierten und gefälschten zeitgenössischen Effekte in Kunst, Design, Mode, Verpackung und Werbung, sind in Zusammenhang mit METALLON ganzheitliche Ordnungssysteme von Bedeutung, die eine Verbindung zum Raum-Zeit-Kontinuum herstellen. Paradoxerweise finden wir diese in großer zeitlicher und räumlicher Entfernung: Wir kennen das Goldene, Silberne, Kupferne und Eherne Zeitalter aus den Metamorphosen des Ovid. Analog dazu sind die Bezeichnungen der vier Tore am Ende der Axialstraßen der Palastfestung des Diokletian (heute die Altstadt von Split): Die nördliche Pforte ist die Goldene, die östliche die Silberne, die südliche die Kupferne und die westliche die Eiserne.
In der heute noch existenten antiken Kultur Balis, die von Indien geprägt wurde und die noch alle Lebensbereiche der Menschen durchdringt, sind die Himmelsrichtungen wesentliche Lebenskoordinaten, denen als Attribute neben vier Gottheiten, vier Elementen etc. vier Metalle und vier Farben zugeordnet werden: Dem Norden Eisen und Schwarz, dem Osten Silber und Weiß, dem Süden Kupfer und Rot, dem Westen Gold und Gelb. Die Mitte ist die alles vereinende Richtung der Schöpfungsgeschichte Balis: Aus der alles in allem seienden anfänglichen Ureinheit entstand der Kosmos, der in jedem Menschen, Gehöft, Tempel, Dorf und der Insel in verkleinertem Maß nachgebildet und enthalten ist.

Die komplexe Bedeutung der Metalle in der Alchimie muss gesondert betrachtet werden: Sonne, Mond, Venus und Mars sind die entsprechenden Analogien zu den thematisierten vier der sieben Metalle in der Symbolik der mystischen Alchimie. Metalle dienen dort als Symbole des Prozesses der Reifung, der Läuterung und der Verwandlung von Unedlem in Edles ("Blei" wird zu "Gold"). In der ebenso rätselhaften gnostischen Alchimie ist die Rede von der Zerstückelung, der Marter und der Auferstehung der Metalle, von den toten Leibern der Metalle, die aus ihrer Betäubung erweckt werden. Das "Große Werk" der Alchimie dient der Erlösung der Ausgangsmaterie, der Materia Prima, in der sich die Gegensätze noch unvereint in heftigstem Widerstreit befinden, in einen Zustand vollkommener Harmonie, in den Stein der Weisen. Neben verschiedenen dazu notwendigen Verrichtungen (calcinatio, congelatio, fixatio, solutio, digestio...) wird in den ältesten alchimistischen Schriften von vier Phasen entsprechend den auftretenden Farberscheinungen gesprochen: Von Schwärzung, Weißung, Gelbung und Rötung.
Der arabische Alchimist Abu'l-Qasim sagt: "Und diese Prima Materia wird in einem Berg gefunden, der eine ungeheure Anzahl verschiedener Dinge enthält. In diesem Berg ist jede Art von Wissen zu finden, die es gibt auf der Welt. Keine Wissenschaft oder Kenntnis, kein Traum oder Gedanke (...), der darin nicht enthalten wäre."



Bei William Blake dienen u. a. Metalle als Metaphern für die Kostbarkeit von Zeit und Zeiterfahrung, von Zeit als beschränktem Gut und für die Untrennbarkeit von Zeit, Raum und Materie (siehe das Fragment aus William Blake, Milton.

Die Metalle sind eine Sonderform der Materie, die den Verweis auf die universale Koexistenz von Licht und Materie enthalten. Sie sind prädestiniert, Denken und Fühlen zu erregen, das Bewusstsein des Menschen zu vereinnahmen. Sie sind in der vorliegenden vereinheitlichten, modellhaften Form geeignet, in verschiedenster Weise auf die verborgene Einheit der sich uns auf materieller Ebene zeigenden Phänomene hinzuweisen.

Dies hat Demokrit getan, und tut heute versuchsweise in besonders nachdrücklicher und faszinierend unverständlicher Weise die Physik.



C) Die Hockerreihe STOOLS

In ähnlicher Weise, wie die Bildwand dem systematischen Prinzip des Museums für Angewandte Kunst entspricht, nämlich Materialien auf einem Tableau auszustellen (= Sammlung Metall), so reflektiert STOOLS ein markantes, spezielles Sujet aus den Schauräumen: die Sesselreihen. Als Aufreihungen hochkarätiger reiner Schauobjekte animieren sie zu einer Paraphrase mit Hilfe eines einfach gestalteten und billigen Hockers, der aber im Installationskontext ein sinnvolles und komplementäres plastisches Element darstellt.
Die organische, nicht exakt geradlinige Kette aus den weißen Hockern definiert die Raumkante entlang der Fensterwand. Die Längsrichtung des Raumes würde auch dann zum Abschreiten der Bildwand animieren, wenn er nicht eine Durchgangsfunktion hätte. Aus der Bewegung resultiert die kalkulierte Wirkung einer zeitbezogenen Permutation - ein Effekt, der an so vielen Punkten, wie Hocker vorhanden sind, sitzend unterbrochen werden kann. Die Betrachtung "physisch" benutzbarer, im Raum stehender Gegenstände ist der Betrachtung rein visuell benutzbarer, unantastbarer malerischer Gegenstände an der Wand gegensätzlich. Sehen im Stehen ist verschieden vom Sehen im Gehen und wiederum verschieden vom Sehen im Sitzen.



D) Der Bildblock TIMES GATE

Tür, Tor oder Pforte - in Verwandtschaft zum Fenster - dient der Öffnung und der Geschlossenheit. Den Öffnungen eines Raumes analog sind die Öffnungen eines Hauses, einer Stadt, eines Staates oder einer Landschaft (Golden Gate und Eisernes Tor...).
Die Künstlichkeit alter konstruierter Städte, der Plan der Straßen und die Positionierung der Tore hatte oft eine irdisch-kosmische Ausrichtung zur natürlichen Grundlage. Die Entwürfe folgten dem Quadrat, dem Kreis und dem orthogonalen Kreuz: Alles essentielle Formen, die mit Raum-Zeit-Faktoren identifiziert werden können, wie es sich im großen Maßstab an den Himmelskoordinaten zeigt.
Die vier lateinischen Begriffe Porta Aurea, Porta Argentea, Porta Aenea und Porta Ferrea für die Tore einer spätrömischen Kaiserpalast- und Stadtanlage definieren die kosmische Bedeutung ihrer prinzipiellen Ausrichtung und den Ort als dessen Zentrum. Die Abfolge der Begriffe - in weißen Lettern auf dem schwarz gefärbten Block aufgelistet - ist gedacht als Gedankenverweis und als Tor zu einer komplexen "supersymmetrischen" Welt hinter der kargen visuellen Pracht der Installation.
Die Diskrepanz ist intendiert. Eine verbaute Tür ist der geeignete Ort, mit dem Fragen zu beginnen.




Zitierte Zitate

(...) Damit tritt eine Gestalt neu ins Dual der Spiegelbeziehung ein. Eine gewaltige Gestalt: leer, aber bereit, den zarten Strahl der Spiegelung in ihrer klaffenden Leere zu verschlingen; nicht nichts, aber geeignet, in jeder ihrer Ausformungen (...) die GRENZE zu bezeichnen. Im Glück des Werks, und mit der Konsequenz, es ins Schweigen zurückzuführen, es im Schweigen zu vollenden, zeichnet sich vom Rande einer Sprache her die GRENZE ab, die nichts anderes ist als das Werk gegenüber dem, was nicht Werk ist. Die Ausgestaltung seines Gleichgewichts schließt schon den steilen Absturz des Werkes ein; es findet damit eine Begrenzung, die das Werk nur auf die Weise umschließen kann, dass dieses sich selber entzogen wird.(...)

Michel Foucault, zitiert von Joseph Kosuth (Documenta IX)


"(...) Der drang, sein gesicht und alles, was einem erreichbar ist, zu
ornamentieren, ist der uranfang der bildenden kunst. Es ist das lallen der
malerei. Alle kunst ist erotisch.
Das erste ornament, das geboren wurde, das kreuz, war erotischen ursprungs.
Ein horizontaler strich: Das liegende weib. Ein vertikaler strich: Der sie
durchdringende mann. (...)
Aber der mensch unserer zeit, der aus innerem drange die wände mit
erotischen symbolen beschmiert, ist ein verbrecher oder ein degenerierter.
(Loos spielt damit auf die Tätowierten seiner Zeit an. d. A.) Ich habe
folgende erkenntnis gefunden und der welt geschenkt: Evolution der kultur
ist gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes aus dem
gebrauchsgegenstande. Ich glaubte, damit neue freude in die welt zu bringen,
aber sie hat es mir nicht gedankt. Was einen drückte, war die erkenntnis,
daß man kein neues ornament hervorbringen könne. (...) Jede Zeit hatte ihren
stil, und nur unserer zeit soll ein stil versagt bleiben? Mit stil meinte
man das ornament. Da sagte ich: weinet nicht! Seht, das macht ja die größe
unserer zeit aus, daß sie nicht imstande ist, ein neues ornament
hervorzubringen. Wir haben das ornament überwunden, wir haben uns zur
ornamentlosigkeit durchgerungen. Seht, die zeit ist nahe, die erfüllung
wartet unser. Bald werden die straßen der städte wie weiße mauern glänzen.
Wie zion, die heilige stadt, die hauptstadt des himmels. Dann ist die
erfüllung nah."


Adolf Loos, zitiert von Ernst H. Gombrich: Ornament und Kunst. Schmucktrieb
und Ordnungssinn in der Psychologie des dekorativen Schaffens. Stuttgart
1982, S. 73.


... every Moment has a Couch of gold for soft repose,
(A Moment equals a pulsation of the artery),
... every Minute has an azure Tent with silken Veils:
And every Hour has a bright golden Gate carved with skill:
And every Day & Night has walls of brass & Gates of
adamant,
Shining like precious Stones & ornamented with appropriate
signs:
And every Month a silver Terrace builded high:
And every Year invulnerable Barriers with high Towers:
And every Age is Moated deep with Bridges of Silver &
Gold:
And every Seven Ages is Incircled with a Flaming Fire.

Now Seven Ages is mounting to Two Hundred Years.
Each has its Guard, each Moment, Minute, Hour, Day,
Month & Year.
All are the work of Fairy Hands of the Four Elements...


William Blake, Milton (1804), zitiert von Herbert Arthur Klein in "The
Science of Measurement", II / Times in Turmoil, and the Origins of the
Metric System.



"Delphi" ist die Abkürzung für "Detector for Lepton Photon Hadron
Identification" ¬ die Assoziation mit dem Orakel zu Delphi ist aber weder
unbeabsichtigt noch unberechtigt: Wie man sich in der Antike vom rauchenden
Orakel Bestätigung für seine Zukunftswünsche erhoffte, so erwarten sich die
Teilchenphysiker von den Experimenten, die am Delphi-Detektor in der
Forschungsanlage Cern in Genf durchgeführt werden, die Bestätigung für ihre
theoretischen Modelle. Die Energie, auf die man die Ausgangsteilchen
beschleunigen muß, entspricht dabei zumindest der Masse der Teilchen, die
man sich nach den Zusammenstößen, Zerfällen etc. zu entdecken erwartet. Bei
den Teilchenphysikern ist Einsteins Gleichsetzung von Energie und Masse ja
längst in den täglichen Sprachgebrauch übergegangen.
Die Theorie, auf die sich so gut wie alle Physiker derzeit einigen können,
nennt sich "Standardmodell"; sie vereint die Theorie der elektromagnetischen
Kraft und der schwachen Kernkraft. Die Gravitation und die starke Kernkraft
sind darin nicht integriert: Experimente für eine Theorie, die alle vier
Kräfte zusammenfaßt, würden noch viel höhere Energien brauchen. Das
Standardmodell sagt etwa die Masse des Top-Quarks (das schwerste der Quarks,
also der ¬ derzeit ¬ fundamentalen Teilchen im Zirkus der Physik) voraus
[...]
Susy, strategisch gesucht: Bereits über das Standardmodell hinaus geht die
Theorie der supersymmetrischen Teilchen, die Fermionen ("eigentliche"
Materieteilchen) und Bosonen (Teilchen, die die Wechselwirkungen ausmachen)
vereinen soll: Danach hat jedes Teilchen ein symmetrisches Teilchen, das
Elektron etwa ein Selektron, das Photon ein Photino usw. usf. Diese
supersymmetrischen Teilchen werden von den Physikern liebevoll "Susy"
genannt. [...]


Thomas Kramar, "Hoffnung auf Supersymmetrie", In: Die Presse,
Wien 2.9.1997.

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