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Vitus Weh

Emblematische Malerei


Derzeit erleben wir eine merkwürdige Renaissance der Emblematik. "Omnis mundi creatura / Quasi liber et figura / Nobis est et speculum": Das Motto von Alanus de Insulis aus dem 12. Jh. ("Alle Schöpfung dieser Welt / Ist uns gleichsam dargestellt / Als Spiegel, Buch und Bild") scheint sich problemlos auf heute übertragen zu lassen. Unser ganzer Alltag ist erfüllt von Emblemen: Piktogrammen, grafischen Benutzeroberflächen, Werbeimages, Logos, bedruckten T-Shirts usw. Solche visuellen Kurzschriften wollen nicht sosehr betrachtet, sondern gelesen werden, auf daß sich eine ganz bestimmte Information dahinter öffne. Im Grunde entsprechen Embleme einer Verweisungs-, Entsprechungs- und Lebenslehre, der zufolge die Wirrnis der Welt in ein Gefüge von Sinnfiguren übersetzbar sei. Und wir alle lieben diese Signaturen, weil sie uns die allgegenwärtige Komplexität reduzieren. Diese schematischen Bildformen sind heute für die Wahrnehmung so bestimmend, daß sie alle anderen Bilder nahezu in den Schatten stellen. Daß sich auch die Kunst mit dem Phänomen "Emblem" beschäftigt, ist daher wenig überraschend. Sie tut dies schon seit längerem. Bereits die Kunst des 16. und 17. Jh.s hat immer wieder gefordert, daß die Maler bei den Dichtern in die Schule gehen sollen ("ut pictura poesis"). Im barocken Emblem ist diese Annäherung von Wort und Bild am folgerichtigsten vollzogen worden. Der ältere und volkstümliche Ausdruck für Emblem ist "Sinnbild". In einem Universallexikon des 18. Jh.s liest man darüber: "Sinnbild ist ein Gemälde, welches in einem Bild und in Worten einen verborgenen Sinn erweiset, welcher zu fernerem Nachdenken veranlasset. Das Bild wird für den Leib, die Schrifft für die Seele des Sinnbildes geachtet."
In Georg Salners Ausstellung SU.SY scheinen auf den ersten Blick alle klassischen Elemente solch eines Sinnbildes idealtypisch vorhanden zu sein: Die kurze Inscriptio als Motto (die Tornamen in weißer Schrift auf schwarzer Wand), die bildhafte Pictura (die Stuhlreihe und die Fläche aus Metallplatten), sowie die schriftliche Subscriptio (Salners Auslegungen, die diesen Text hier umfließen). Doch ganz zu verstehen ist die Sache dann doch nicht: Warum genügt nicht wie früher eine Emblem-Vignette? Warum braucht es heute dafür offensichtlich einen ganzen Raum? Und wie kommt es zu diesem merkwürdigen Überfluß an Deutungen in Salners beigefügtem Text? Eine Erklärung verbirgt sich in Salners Ansatz, der nicht allein einer Tradition der Gelehrsamkeit, der Kodierung und Deutung verpflichtet ist, sondern auch einer ganz bestimmten Auffassung von Malerei. Diese Aspekte des Malerischen gilt es näher zu betrachten.
Auffallend ist zunächst, daß der von Salner gestaltete Raum als Ganzes das Bild ist, sodaß weder der Begriff Tafel- noch Wandbild passen will. Ausdrücke wie "Raumschüttungen" oder "Spatiale Malerei" scheinen näher zu liegen, aber auch sie treffen das Arrangement dieser mit farbigen Stücken perforierten Raumschleuse nicht präzise. Die Tradition innerhalb der zeitgenössischen Kunst, auf die Salner sich beziehen kann, ist noch jung. Den Beginn des international verstärkten Interesses für raumfüllende Malereiinstallationen läßt sich ziemlich exakt auf Mitte der achtziger Jahre datieren. Es war eine Entwicklung, die relativ parallel zur Bewegung der "Neuen Geometrie" verlief: so unterschiedliche Künstler wie Matt Mullican, Sol LeWitt und Günter Förg entdeckten damals die Möglichkeit, ihre Malerei, die sich an der Geschichte der geometrischen Abstraktion oder der schematischen Kodiertheit der Alltagsästhetik abarbeitete, in die Dreidimensionalität zu entfalten. Andere, wie Joseph Kosuth, Remy Zaugg und Gerhard Merz, versuchten ihre Raummalereien zusätzlich noch durch den Einsatz von Schrift aufzuladen. Heinz Schütz hat dieses Phänomen, das so auffallend das Erzählerische und Moritatenhafte forcierte, später unter dem Titel "Das Theater der Embleme" zusammenzufassen versucht: "Das Emblem tritt auf die Bühne, das von der Malerei hinter die Kulissen gedrängte Wort erscheint im Bild".1
Parallel zu diesem internationalen Diskurs hat sich in Österreich allerdings eine lokale Ausprägung ergeben, die in unserem Zusammenhang sehr wichtig ist: "Theater" bedeutet hier tendenziell etwas anderes als nur "Bühne". Speziell der Wiener Resonanzraum hat diese Differenz entscheidend geprägt. Hier galt es eine lebendige Tradition des räumlichen Gesamtkunstwerkes zu berücksichtigen, die seit den barocken Schloß- und Kirchenanlagen existiert und sich über die Möblierungen des Historismus' und die umfassenden Inszenierungen des Jugendstils bis beispielsweise zur "Kleinen Architektur" der 60er Jahre (Hans Hollein, Hermann Czech u.a.) oder bis zu den künstlerisch gestalteten Schauräumen des Museums für Angewandte Kunst (MAK) in den 90er Jahren zieht. Auf diesen Zusammenhang hat Markus Brüderlin bereits 1986 hingewiesen2 und für die Malerei der neuen Geometrie in Abgrenzung zur klassischen Moderne und zur amerikanischen Neo-Post-Konzeptkunst den Einfluß von Seh- und Denkerfahrungen herausgestrichen, wie sie der Umgang mit dem historisch und ästhetisch dichten Stadtraum Wien oder auch die Kartografierung der Psyche durch Sigmund Freud bereithält.
Die Linie dieser in den "ästhetischen Raum" erweiterten Malerei zieht sich in Österreich im Wesentlichen bis heute. Ihr Feld umfaßt den "Erlebnisraum Tafelbild" ebenso wie "gestaltete Zwischenräume" und "Settings". Die in ihnen wirkende "Geräthaftigkeit" ist die Differenz, die sich dabei zum herkömmlichen "Theater" ergibt. Es handelt sich dabei nicht um "Bühnenbilder", auf denen ein Stück gegeben wird, sondern um "Malerei" als der Erzeugung und Widerspiegelung universalistisch gemeinter Denk- und Lebensräume. Wichtig ist der Unterschied zwischen Dramaturie und Polytechnik: Die Ausstattung dieser Räume besteht nicht aus Requisiten sondern aus "Einrichtungen". Wie die Arbeiten von Franz West, Heimo Zobernig u.a. exemplarisch zeigen, geht es um Körper und ihre Haltungen in diesen geräthaften Bildräumen; es geht um Räume als Sozialskulpturen.

Vor diesem Hintergrund österreichischer Malereikultur wird auch Georg Salners SU.SY-Raum durchschaubar. Es klärt sich, warum es dafür einen ganzen Raum braucht, und was es mit dem Deutungsüberschuß auf sich hat. Bei Salners Installation handelt sich eben gerade nicht um ein Emblem, das fraglos in Deutung aufgeht, sondern um eine kleine Maschine, die die explodierenden Konnotationen, die sich schon bei so etwas Schlichtem wie den vier Metallsorten Eisen, Kupfer, Silber und Gold einstellen, zu bändigen und zu kanalisieren versucht. Auf das anschmiegsam-geräthafte der Installation deutet nicht zuletzt Salner selbst mit dem Titel "SU.SY": Was sich wie ein lieblicher Mädchenname anhört bezeichnet ein Phänomen der atomaren Forschung: Daß in Salners Installation die Bedeutungen in einen Kreislauf versetzt werden, wie die Materie in einem Teilchenbeschleuniger (siehe das Textfragment von Thomas Kramar über Supersymmetrie), ist ein durchaus naheliegender Vergleich. Die emblematischen Bedeutungszusammenhänge, die früher das von ewigen und wahren Bestimmungen durchwirkte Universum widerspiegeln sollten, sind bei Salners Installation gleichsam in Aufruhr geraten. Zusammengehalten werden sie nur durch den Raum der Malerei.

1 Heinz Schütz (Hg.) "Das Theater der Embleme", Themenband der Kunstzeitschrift Kunstforum int., Band 102, Juli/August 1989, S. 48.
2 Siehe Markus Brüderlin (Hg.) "Postmoderne Seele und Geometrie", Kunstforum int., Band 86, Nov./Dez. 1986.

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