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Burghart Schmidt

Ornament im Clinch mit Mythos


Zu seiner Installation für einen ganz spezifischen Raum im MAK / Wien, dessen Spezifität im Galeriecharakter eines Passagenraums besteht, hat der Künstler Georg Salner ganz ausgezeichnete Beschreibungen getextet, die ich hierher setzen müsste, um Verdoppelung der Arbeit zu ersparen. Ja die Beschreibung enthält zugleich den ersten überzeugenden Interpretationszugang zum Anschaulich-Formalen. Ganz richtig, die in den strengen Maßverhältnissen entlang einer Anzahl von Zeilen angebrachten, selbst nach einer übersichtlichen Formel vermessenen Metallrechtecke, in wenigen Metallfarben wechselnd, verstärken über eine Durchgangswand hinweg die Perspektive der Galerie aufs stärkste. Ganz richtig zum anderen, dass in einer diese Perspektive querenden Wende bei Aufsicht auf Struktur wie Farbigkeit der Metallscheibenzeilen die Wand zu Raumtiefe geöffnet wird und doch die Metallscheiben mindestens der dunkleren Farben nach vorn schießen. Der Raum wird also überspannt und ins Schwingen gleich Federn gebracht.

Zum weiteren überzeugt auch, wie der Künstler in eigenen Texten Bezüge zu abendländischer Symbolgeschichte bedeutet. Vom der Wand auferlegten streng orthogonalen Raster spielt er assoziativ zu der infrastrukturellen Rasterorganisation antik-griechischer und römischer Kolonialstädte hinüber. Und aus dieser Assoziation fängt er sich wiederum den Diokletianspalast in Split (antik: Spalato) heraus, bei dem das infrastrukturelle Rasterkreuz in den Tornamen an den Kreuzenden symbolisch belegt wurde mit den Wörtern für die dem antiken Menschen vier wichtigsten Metalle: Gold, Silber, Kupfer, Eisen. Diese Tornamen werden vom Künstler auf einer großen Tafel zur Verstellung der einen Galerietür unübersehbar aufgeschrieben und so der schwingenden Installation als Fixpunkt, einziger Fixpunkt, einkomponiert, um etwa von dort aus im "doppelten Tormotiv" den Raum als unfassbare Beweglichkeit zu erleben. Damit es eben doch etwas gebe, "woran man sich halten kann" (Bertolt Brecht). Die Assoziationsketten Salners reichen aber noch weiter aus der Mythik des Metallon über die Infrastruktur der Stadt bis zu deren Bedeutungsfunktion in Abbild der Kosmosstruktur.

Mir bleibt hier nur übrig, das Unternehmen des Künstlers ein wenig einzurichten in die Tendenzen unseres Jahrhunderts, insbesondere der letzten Jahrzehnte. Und da sind es gewiss Ideen des Neoplastizismus von Piet Mondrian (Niederlande) bis Josef Albers (Bauhaus), während der 20er Jahre, an die man hier erinnert wird.
Ich meine ein Arbeiten betont in der Fläche, nicht nur flächig auf der Fläche, das trotzdem höchste Raumwirkungen erzielen will. Bei Salner werden das gar die Abenteuer eines Ereignisraums im Raumereignis, die den Raum als Koffer oder Schrank oder Schrankkoffer, wohinein man ordnend etwas einlegt, nicht mehr zulassen wollen.

Trotz dieser dynamischen Dramatik aber bleibt unübersehbar, dass die Installation als Ornamentsystem auftritt, wenngleich als ein kühles, konstruktives, berechnetes Ornamentsystem. Damit steht sie im Kontext jener Wiederaufnahme der Ornamentdebatte, die mit Zügen der Rede über Postmoderne zusammenhängt. Mit der Postmoderne kamen ja besonders in Angelegenheiten der Architektur Wiederaufwertungen von Kunst- oder Kulturanliegen auf, die vergangen, erledigt, abgelegt schienen. Dazu gehörte eine neue Freude am Ornamentalen, und zwar am tradiert Ornamentalen in Zitationen, so sehr, dass man gar die Postmoderne wenigstens in der Architektur verstehen müsse wie einen neuerlichen Historismus, so manche Rede. Davon ist das von Salner entworfene und installierte Ornamentsystem völlig frei in seiner unzitatorischen Neuigkeit.

Dafür aber berührt es zugleich mit der Ornamentfreude ein anderes Thema der postmodernen Debatten, die "Arbeit am Mythos" (Hans Blumenberg), wo die Zeiten zuvor sich viel auf ihre Entmythologisierungserfolge zugute kommen ließen. Bei Salner ist die Frage nach dem Kosmosmythos wieder hellwach und darin regt sich sogar etwas Zitatorisches. Angedeutet wurde schon die Infrastruktur des antik-städtischen als Abbild des Kosmos. Hier liegt also mehr vor als bloß die lebenkulturell nachgefragte Dekorationsfunktion des Ornamentalen. Selbst allerdings schon im spezifischen Raumerleben ging es ja keineswegs um das Überwinden des Langweilenden einer weiten weißen Wand. Wie gar, wenn die Darstellung Erzählen zu entwickeln beginnt über Strukturen des Kosmos und seiner Geschichte, sei das gleich in mathematischen Proportionsformeln und Funktionalitäten mit Verwandtschaftszug zu "Heiliger Mathematik", quantifizierbarer Religiosität. Dazu muss allerdings festgehalten werden, dass Salner weder predigt noch missioniert, er stellt nur Fragen nach uralten Anliegen, die vielleicht doch nicht solang her sind, dass sie gar nicht mehr wahr sind.

Insofern bleibt die Installation des Künstlers ein sich aufklären wollendes anschauliches Fragespiel zwischen freier Kunst und angewandter. Denn sie lässt sich ja einerseits als Interieurkonzept verstehen, ein Innenarchitektonisches, und andererseits als darstellerisches Untersuchen von Mythikproblemen. Damit steht sie im heutigen Trend von Zwischenpositionen zwischen Angewandtheit und Freiheit der künstlerischen Produktion. Von der Zwischenpositionalität erhofft sich bekanntlich die Angewandtheit neue Wege aus den eingefahrenen Bahnen leichter Transformativität heraus, welch' letztere, die Bahnen nämlich, wachsend von Computern übernommen werden. Und freie Kunst verspricht sich offensichtlich von der Zwischenpositionalität neuerlich wachsende Wirklichkeitsnähe im Heutigen. Ich glaube, dass Hoffen und Versprechen dieser Art nicht aus der Welt sind. Auch hierzu kann Salners Installation weiterhelfen, soweit auch ihre Intentionalität als Werk eines überlegsamen und anspielungsbewussten Künstlers weit darüber hinaustreibt, wie zu lesen war in Kürze.


Burghart Schmidt, geb. 1942 in Wilhelmshaven, Dr.phil.habil., Professor für Sprache und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung Offenbach a. Main Arbeitsgebiete: Wissenschafts- und Erkennnistheorie, Kunsttheorie, Sozialphilosophie, Religionsphilosophie. Zahlreiche Buchpublikationen, u.a. Postmoderne - Strategien des Vergessens, erweiterte Neuauflage, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1994; Bild im Ab-wesen, Edition Splitter, Wien 1998.

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